Maik Göpel
Kinderlieder & Chansons
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Lieder wie du und ich
(2008)

01. Wie immer 02. Mein Land 03. Leben vor dem Schlaganfall 04. Die Freunde meiner Tochter 05. Chorsingen macht Spaß 06. Ausländer 07. Amerikanische Soldat 08. Liebling, du rauchst 09. Ich krieg einen Bauch 10. Abschied von Diana 11. Lehmann 12. 170 Karten 13. Zungenpiercing


01. Wie immer

(Musik und Text: Maik Göpel)

Ich bin seit heut morgen heiser, meine Nase läuft wie blöd.
Alle Taschentücher reißen und der Kaffee schmeckt mir öd.
Ich will mich nicht erinnern und es fällt mir trotzdem ein,
als ich gestern Abend heim kam, war ich nicht mehr ganz allein.
Mein Sangesbruder hatt` sich vor der Haustür übergeben,
ein Nachbar kollabierte, doch er wird es überleben.
Mein TÜV ist abgelaufen und der Kopf tut weh,
jetzt fehlte eigentlich nur noch `ne Heino-CD.
Unser Kühlschrank heizt die Wohnung, der Jogurt ist verfallen,
die Küchenlampe flackert in verschiednen Intervallen.
Unser Sittich wirft sich freiwillig ein Tuch über den Bauer,
er will mich nicht mehr kennen, auch die Milch ist ziemlich sauer.

Und auch sonst ist alles wie immer,
wärst du jetzt nicht hier,
das wäre viel schlimmer.
Schön, dass du da bist, jetzt ist alles gut.

Mein Weisheitszahn muss raus und ich hab Übergewicht,
die Waschmaschine klappert und der Abfluss ist nicht dicht.
Dein Tiger-Tanga hat mein neues Auftritts-Hemd verfärbt.
Onkel Willy hat mir seinen frechen Struppi vererbt.
Beim Gassi geh'n ist mir die alte Chefin begegnet,
ich kam nicht an ihr vorbei und natürlich hat’s geregnet.
Sie redete mir ein, ich wäre nicht mehr firm,
ich hörte artig zu und sie stand unter ihrem Schirm.
Doch dann hat sich Struppi rettend von der Leine gerissen,
einen Radfahrer gestürzt und in die Chefin gebissen.
Unsre Haftpflicht kann sich diesmal aber nicht wieder raus winden,
die muss zahlen, nur, ich kann grad die Police nicht finden.

Und auch sonst…

Kein Schwein hat angerufen, meine Lieder zu buchen,
dafür will uns morgen Abend deine Mutter besuchen.
Wenn sie wieder so viel redet, werde ich mal für sie kochen.
Vorsicht, in der Badtür ist der Schlüssel abgebrochen.
Dass mein Reißverschluss kaputt ist, habe ich verdrängt.
Dein Kaktus ist verwelkt, so was geht schneller als man denkt.
Von links, die schwarze Katze hat mir Mut gemacht,
aber der Schornsteinfeger hat nur seine Rechnung gebracht.
Ich wollte online überweisen, doch die Maus ist weg
und mein Bargeld habe ich in einem sicheren Versteck,
und wenn mir wieder einfällt wo, dann feiern wir darauf,
ein blaues Auge vom Sektkorken nehme ich in Kauf.

Denn auch sonst…


02. Mein Land
(Musik und Text: Maik Göpel)

Ich wurde in ein Land geboren, das gibt es so lange nicht mehr.
Was soll ich meinem Kind sagen, wo stamme ich eigentlich her?
Ich könnte stundenlang erzählen und komm nicht auf den Punkt.
Ich rede desillusioniert und kein Gedanke funkt.

Was treibt mich immer noch dazu, Grenzen zu überqueren,
die heute gar keine mehr sind? Ich kann es nicht erklären.
Ich fühlte mich wie amputiert, es tröstete nach Plan,
dies unwahrscheinlich kleine Land, mit Drang zu Größenwahn.

Hab in naiver Hoffnung und Kleinmut überdauert,
doch alle Illusionen waren unsinnig vermauert.
Eine senile Macht hatte mutmaßlich nichts gewusst
von Rheumadeckenmangel und Realitätsverlust.

Der Staat ist manchmal ein Gerüst und manchmal eine Last.
Seine Tage sind gezählt, wenn er nicht zu den Menschen passt.
Heut kann ich aus dem Fenster schauen, und manche Fahne weht
schon wieder schlüpfrig vom Balkon, lauert, ob der Wind sich dreht.

Ich wurde in ein Land geboren, das gibt es so lange nicht mehr.
Es klingt schon beinah wie ein Märchen, ach wenn es doch nur eines wär.
Jetzt lebe ich in einem Land, nicht mehr hinter sieben Bergen.
Doch fühl ich mich lustlos regiert von neunmalklugen Zwergen,

die mit ‘ner sonderbaren Fee durch Sümpfe waten müssen.
Die meisten folgen ihr, wie blind, aber keiner will sie küssen.
Der Wunderwirtschaftzaubersang begann im reichen Moos,
doch korrumpierende Geister wird man nun nicht los.

Dem Untertan am Gängelband geht es noch zu gut,
jedoch sein Unmut wandelt sich mehr und mehr in Wut.
Deutschland sucht den Superpapst und den schwarzen Kanal,
der Absolution erteilt und verspricht: Es wird einmal.

Ich wurde in ein Land geboren, mit Lieblingsfarbe grau.
Die Berge halten manches Tief apathisch im Schlepptau.
Endlose Wolken erzeugen schweren Mut,
das tut den emsigen Bewohnern auf Dauer gar nicht gut.

Es verschafft so manchem hier einen seltsamen Humor,
engstirnig, neidisch, griesgrämig, mit Talent zum Eigentor.
Ich will manchmal nur weg von hier und kann einfach nicht gehen.
Mein Fernweh bleibt absonderlich, wie angewurzelt, stehen.

Ich brauch dies ungereimte Land, um mich daran zu reiben
und diese Leidenschaft zwanghaft zu beschreiben.


03. Leben vor dem Schlaganfall
(Musik und Text: Maik Göpel)

Die Kontonummern hat sie stets im Kopf
sie ordnet ihren hochgesteckten Zopf
ihr eingeübtes Lächeln lässt mich frieren
nein, sie hat keine Zeit zum Zeit verlieren

Drei Stellen hinterm Komma noch korrekt
Lebenslauf und Akte unbefleckt
von Menschlichkeit und Schwächen kaum `ne Spur
eine Pillendose für jede Blessur

… und dabei sollte sie doch

Leben vor dem Schlaganfall
aufrecht gehen ohne Krücken
federleicht, auch auf weichen Knien
keine Laune unterdrücken

Leben vor dem Schlaganfall
und kein Reglement das zähmt
Öffnungszeit der Phantasie
nicht vorher schon gelähmt

Die Lesebrille sicher ins Etui
ein letzter Hilferuf der Nostalgie
wenn ihre stets gespitzte Mine knickt
und sie dem kühlen Rechner escape klickt

Dann zieht sie sich die Haarnadeln heraus
und schüttelt die gequälten Locken aus
löst sie ihre angespannten Zügel
zieht sie ihre Lust vom steifen Bügel

... und vielleicht schafft sie`s doch

Leben vor dem Schlaganfall
aufrecht gehen ohne Krücken
federleicht, auch auf weichen Knien
keine Laune unterdrücken

Leben vor dem Schlaganfall
und kein Reglement das zähmt
Öffnungszeit der Phantasie
nicht vorher schon gelähmt


04. Die Freunde meiner Tochter
(Musik und Text: Maik Göpel)

Der erste Freund meiner Tochter war pummelig,
ungelenk und verschüchtert, doch so sah sie ihn nicht.
Er war kleiner als ich, mein Gott war der klein,
muss man wirklich mit dreizehn noch so winzig sein?
Er hat bei mir nicht um ihre Hand angehalten,
meine Meinung über ihn war eher gespalten.
Nein, eigentlich eindeutig Opposition,
er sah zu mir hoch, auf meinen Vaterthron.

Ich sagte behutsam: Mein liebes Kind,
was tust du uns an, du bist doch nicht blind.
Du musst das selbst wissen, ich misch mich nicht ein,
aber muss es denn gerade der sein.
Du hast doch so viele Möglichkeiten,
ich kann dieses Weichei nicht leiden.
Du bist noch so jung und so schön,
komm lass ihn gehen.

Oh, dem Zweiten sah man an den Beinen an,
dass er erstklassig Fußball spielen kann.
Seine Muskelpakete platzten fast aus den Nähten,
worüber soll ich mit so einem reden?
Er schwärmte vom Bayernmünchengespiele
und das in unserer Musikerfamilie.
Ich ging genervt zur Probe vom Chor
und wünschte ihm heimlich ein Eigentor.

Ich sagte behutsam…
…ich kann diesen Protzer nicht leiden.

Der Nächste war anders, aber wie,
ich wusste nie, sage ich du oder sie.
So selbstbewusst waren wir damals nicht,
und immer so ein Grinsen im Gesicht.
Berauscht stand er da, wie einst Heine am Rhein,
dann philosophierte er schwülstig beim Wein.
Ich hielt ihn für den Musikantenstadl begabt,
meine Großmutter hätte ihre Freude gehabt.

Ich sagte behutsam…
…ich kann den Süßholzraspler nicht leiden.

Ob lange Haare, Tätowierung oder schrille Frisur,
Rapper-Hosen,  Piercing,  Athletenfigur.
Vorurteile - bin ich darauf angewiesen,
meiner Tochter jeden Freund zu vermiesen?
Es ist nicht nötig, auf sie aufzupassen,
ich kann mich hundertprozentig auf sie verlassen.
Ihr zu vertrauen fällt mir gar nicht schwer,
denn ihr neuer Freund ist Musiker.
Ich brauche nicht mehr skeptisch schielen,
ihr neuer Freund kann Gitarre spielen.


05. Chorsingen macht Spaß
(Musik und Text: Maik Göpel)

Jeden Donnerstagabend 20 Uhr
findet sich unsre sangesfreudige Truppe,
im abgehangenen Dorf-Saal ein,
wie eine wohl therapierende Selbsthilfegruppe.
Der erste Bass klemmt die Zigarre in den Notenständer,
dann zieht er aus dem Kasten routiniert das erste Bier.
Der Bariton reicht den Flaschenöffner
und legt beflissen ein paar Untersetzer aufs Klavier.
Man leert in einem Zug das erste Glas:
Chorsingen macht Spaß!

Der Dirigent ist immer noch am Stimmgabel suchen,
verstört durchwühlt er alle Taschen.
Er findet sie im Slip und verkündet erfreut:
Ich will euch wieder mit was Neuem überraschen;
das Programm für morgen stand zwar lange fest,
doch mir ist heute Nacht ‘ne Verbesserung gelungen.
Und stolz teilt er die Noten aus,
so gewagte Intervalle haben wir noch nie bezwungen.
Na los, Leute nun gebt mal richtig Gas:
Chorsingen macht Spaß!

Wir versuchen es recht tapfer, doch es will nicht harmonieren,
der Chorleiter fängt an, die Augen zu verdrehen.
Der erste Tenor kann die Höhen nicht erklimmen,
wir raten ihm, doch endlich mal zum Arzt zu gehen.
Der zweite Bass will sich nicht an die Noten halten,
er hat wieder eine schöne alte Melodie im Ohr.
Doch mit jedem Bier singen wir besser,
auf jeden Fall kommt es uns so vor,
ja, langsam finden wir das ideale Maß,
Chorsingen macht Spaß!

Der Dirigent will heimlich noch zur neuen Freundin,
schon geh‘n zu müssen, gibt er seinem Rückenleiden Schuld.
Der Dirigent in spe sieht seine Chance
und torkelt übertrieben lässig vor ans Pult.
Ein schwerhöriger Veteran
kann den Führungswechsel wieder nicht begreifen.
Er schimpft: Ihr wisst doch gar nicht, wie das früher war,
und lässt aus Protest sein Hörgerät auf pfeifen.
Doch über jeden Streit wächst irgendwann mal Gras,
Chorsingen macht Spaß!

Ob großer Parteitag oder Blinddarm OP,
jeder Sangesgrund ist uns genehm.
Ob Kirchenglocken oder Zahnausfall,
uns verstimmt kein menschliches Problem.
Egal, ob Eheschließung oder Scheidung,
wir finden sowieso den richtigen Ton.
Egal, ob zum Lachen oder Heulen,
auch für eure Beerdigung üben wir schon.
Wir singen für den Wald und gegen Holzwurmfraß,
gleich, über wen wir singen oder über was:
Chorsingen macht Spaß!


06. Ausländer
(Text & Musik: Maik Göpel)

Meinen polnischen Opa hat der Krieg verjagt,
im Northampton-Hospital kaute er sein Gnadenbrot.
Bis zuletzt ein armer Schlucker, einsam, heimatlos,
als ich das erfuhr, war er schon 20 Jahre tot.
Und Opa Karl wird seit 1943
bei Slawiansk vermisst.
Mir bleibt nur die Hoffnung, dass er damals im August,
ohne Qualen gefallen ist.

Ich bin Ausländer, meine Wurzeln liegen
über 3000 Kilometer verteilt.
Bin für kein Volk und Vaterland zum Krieg zu kriegen,
vom Gehorsam geheilt.

Ich habe Freunde in Australien und am Schwarzen Meer,
und ich kenn Idioten, dort wie hier.
Und wenn ein deutscher Singverein am Ballermann
die Sau raus lässt, dann schäm ich mich dafür.
Die Toilettenfrau vom Domplatz
fliegt man nach Pakistan zurück,
dass sie mir nicht den Traumjob wegschnappt,
was für ein Glück?

Ich bin Ausländer für über sechs Milliarden Leute,
die anders leben, reden, essen und sich kleiden.
Ein paar Hundert davon traf ich bis heute,
wir schauen aus
nach bessren Zeiten.

Ich bin ein viertel Pole und Linkshänder,
Bibel lesend, gutgläubiger Atheist,
für den gemeinen Deutschen
ein Randgruppenspezialist.
I’m a foreigner to over six billion people,
those I’ve met so far were good to me.
I’m always on a journey,
with my passport from Germany.

Ich bin Ausländer, das klingt sehr verwegen,
doch ich erhoffe einen Vorurteilserlass.
Ich bin Ausländer und zücke überlegen
an der Grenze meinen deutschen Pass.


07. Amerikanischer Soldat
(Musik und Text: Maik Göpel)

Für deinen Sohn ist heute Zeugnistag,
er hat sogar in Englisch eine Zwei.
Einen Moment ist er mächtig stolz darauf,
und du bist wieder nicht dabei.
Du stehst an einer Kreuzung,
und der Wüstenstaub schmeckt fad,
und dein Sohn geht traurig heim,
getäuschter Amerikanischer Soldat.

Deiner Tochter wackelt seit heute früh der erste Zahn,
das macht ihr schon ein wenig Angst.
Als der Krieg losging, war sie zweieinhalb.
Sie ahnt nicht, wie du um dein Leben bangst.
Sie ist schon wieder vier Zentimeter gewachsen,
seit ihr euch das letzte Mal saht.
Daddy ist für sie ein Mann auf einem Foto,
missbrauchter Amerikanischer Soldat.

Die Mutter deiner Kinder steht tapfer ihren Mann,
beneidenswert, so eine starke Frau.
Die Zeit am Telefon reicht nur für das Wichtigste,
wann du heim kommst, weißt du wieder nicht genau.
Bis zur Gutenachtgeschichte hält sie unverzagt
für jeden ihre Trostpflaster parat.
Dann löscht sie das Licht und lässt sich weinend fallen,
betrogener Amerikanischer Soldat.

Großmütiger Krieger, du dienst als tragischer Statist,
der verwirrt Kopf und Kragen riskiert,
für einen Platz im Schaukelstuhl eines Veteranenclubs,
in dem man dann dein Trauma therapiert.
Die Welt zu retten, zogst du los, mit deiner „M-16“,
jedoch die Ausbeute ist karg,
und von dem alten amerikanischen Traum
bleibt nur die Flagge auf deinem Sarg.


08. Liebling, du rauchst
(Musik und Text: Maik Göpel)

Liebling, du...
…die Sonne scheint, ein herrlicher Tag,
nach dem Essen nehmen wir den Garten in Beschlag,
weisen egoistisch den Alltag in die Schranken,
der wolkenlose Himmel bringt uns auf andere Gedanken.
Liebling, hörst Du? Hör doch mal, komm endlich aus der Küche,
was sind das hier überhaupt für mulmige Gerüche?
Hast du auf dem Herd irgendwas vergessen?
Doch die Schwaden riechen gar nicht nach verbranntem Essen.
Sorgenvoll wähne ich, dass du ‘nen Feuerlöscher brauchst,
ich will es halt nicht wahr haben: Liebling, du rauchst.

Auch wenn ich gelegentlich etwas übertreibe,
unsre Wohnung riecht manchmal wie eine Vorstadtkneipe.
Die Aschenbecher sind stets voll und die Konten leer,
nicht nur, weil ich das sage, atmest du jetzt schwer.
Treppen steigen zählt für dich zu Extremsituationen,
du wünschst dir, wir würden bald in einem Flachbau wohnen.
Infarktgefahr und Atemnot nimmst du rigoros in Kauf,
in der Straßenbahn stehen mitfühlend selbst Rentner für dich auf.
Und es ist keine Überraschung, wenn du mal unverhofft auftauchst,
dein Geruch eilt dir voraus, Liebling, du rauchst.

Schau ich dich an, erinnern mich deine blonden Strähnen
manchmal unwillkürlich an den Belag auf deinen Zähnen.
Die gelben Fingernägel hast du raffiniert lackiert,
nur deine fahle Haut wirkt etwas dehydriert.
Trotz geteerter Lunge stehst du im Allgemeinen
noch erstaunlich fest im Leben auf deinen Raucherbeinen.
Doch Aceton und Kohlenmonoxid werden dich umbringen,
ich lese es schon deutlich in deinen Augenringen.
Wenn du so vulkanisch dein Leben aushauchst,
Friede deiner Asche: Liebling, du rauchst.

Ich wünschte mir, ich hätte dieses Lied nie schreiben müssen.
Stattdessen würde ich dich lieber nikotinfrei küssen
und mit dir picknicken im Grünen, ganz ungestört, wir zwei,
doch das Risiko ist groß: Waldbrandwarnstufe drei.
Ich weiß nicht, warum du mich jetzt so überreizt anfauchst;
was bringt dich so in Wut? Ich mein es doch nur gut.
Das Laster macht dich destruktiv,
dein Bluthochdruck macht aggressiv: Liebling, du rauchst.


09. Ich krieg einen Bauch
(Musik und Text: Maik Göpel)

Wo schauen Sie bei einem Mann zuerst hin?
Tun Sie jetzt nur nicht so ungerührt.
Gleich im ersten Moment, als ich hier rein bin,
habe ich die neugierigen Blicke gespürt.
Jede Frau im Saal hat unauffällig hingesehen,
auch wenn Sie‘s nicht gestehen, die meisten Männer auch.
Es ist nicht selten und nicht schön,
doch offensichtlich, ich krieg einen Bauch.

Im Schwimmbad sehe ich eine alte Freundin wieder,
sie fällt noch immer auf, mit ihrer tollen Figur.
Bestimmt schaut sie gleich zu mir rüber,
ich stell mich in den Gang, in Adonisstatur.
In meinem Fall bedeutet das: einatmen
und den Bauch einziehen, so gut es geht,
dann nicht zu lange smalltalken -
lauf ich blau an, ist es zu spät.

Man belächelt meine staketigen Beine,
meine Arme sind eigenwillig tailliert,
kräftige Stellen hab ich nur eine,
ich bin unausgeglichen proportioniert.
Der Abführtee konnte das nicht ändern,
auch kein Muskelstimuliergerät,
keine Popgymnastik mit Gummibändern,
nicht mal die neuste Brigittediät.

Befinde ich mich vielleicht in guter Gesellschaft
durch die Bauchatmung vom Gesangsunterricht?
Der Ansatz ist richtig, doch mir schwant:
für den Festspielhügel reicht es noch nicht.
Meine Gitarre steht ab, das ist unerotisch,
ich will nicht noch einen Blick in den Spiegel riskieren.
Und ich warne Sie, ich werde chaotisch,
wenn sie mich von der Seite fotografieren.

Ich fühl mich noch fit nach all der Zeit,
all der Schokolade und all den Bieren.
Besteht meine Zukunft aus Selbstmitleid,
Stützkorsett, Knäckebrot und jeden Tag trainieren?
Ich neige schon zum Doppelkinn,
und Kinder fragen ob ich schwanger bin.
Irgendwann könnte in der Zeitung stehen:
es sang der Pavarotti von Thüringen.


10. Abschied von Diana
(Musik und Text: Maik Göpel)

Du bist immer hier zu Hause, selbstverständlich, dachte ich,
diese Illusion fällt nur langsam von mir ab.
Es wird ‘ne Weile dauern, bis ich nicht mehr heulen muss
und deinen Ketchup aufgegessen hab.

Ich steh in deinem Zimmer, räume ein paar Sachen auf,
ich werde deine Schränke mit Folie überziehen.
In deinem Radio läuft jetzt Figaro,
wärst du nicht schon weg, würdest du jetzt fliehen.

…und kommst du einmal zurück,
wirst du eine andre sein,
ich stell mich darauf ein.
Finde dein Glück.

Die Zeiger meiner Uhr sollen sich rückwärts drehen,
nur einen Moment reicht meine Phantasie.
Dem Mädchen auf dem Foto gebe ich einen Kuss
und hoffe, er erreicht dich irgendwie.

Du wirst deine Liebe finden, so viel Schönes kann passieren,
und ich traure hier um dich, als wärst du tot.
Ich sollte mich nur freuen und deine Chancen sehen,
ich alter egoistischer Idiot.

Kommst du einmal zurück,
wirst du eine andre sein,
ich stell mich darauf ein.
Finde dein Glück.


11. Lehmann
(Musik und Text: Maik Göpel)

Ich kenn Leute, mit denen kann man Pferde stehlen
und solche, die dir einen vom Pferd erzählen.
Die einen stammeln immer rätselhaft amorph
und andre lassen nicht mal die Katze im Dorf.
Und ich kenn einen, der ist all das in einer Person,
der textet dich zu gnadenlos monoton.
Sowie er mich erblickt, fällt ihm ein Vortrag ein;
Prostata, Oralphobie, Kaninchenverein,
werden ohne Atempause miteinander verbunden,
und mit dem letzten Wort ist er wieder verschwunden,
gerade als ich sagen will: Lehmann, sei still.

Ein ungekämmter, unrasierter, unfeiner Pinkel,
mit schwelender Zigarre im vergilbten Mundwinkel.
Seine Latzhose und er sind unzertrennlich,
oder anders gesagt: er wirkt unschlagbar männlich.
Ein moralapostelnder Frauenversteher
und genialer „Das-Wort-im-Mund-Verdreher“.
Was er faselt ist für ihn in dem Augenblick Gesetz,
er ist beeindruckt von sich und von seinem Geschwätz.
Seine Philosophien sind der Overkill,
ich denk nur: Lehmann, sei still.

Seine Fragen sind oft dermaßen entartet,
dass er Gott sei Dank von mir keine Antwort erwartet:
Fordert jemand vom Papst das Zölibat ausdrücklich?
Wenn ja, dann ist der bestimmt auch nicht glücklich.
Und der Klimawandel hat nach seiner Berechnung
ein Verhältnis zur Inflation der Heiligsprechung.
Ist das Geld der Anfang vom Ende der Welt?
Sieht der Geköpfte noch den Korb, während der Kopf fällt?
Dabei dreht er genüsslich die Würste auf dem Grill.
Ich denke: Lehmann, sei still.

Einmal hält man das ja aus, aber so ist er immer,
dieser wasserscheue Rettungsschwimmer,
Fahr ich mit neuem Wagen vor, wie `n stolzer Hahn,
ruft er belustigt: „Der Kaiser hat ja gar nichts an!“.
Auch bei Vollgas dröhnendem Motor
hab ich seine Phrasen noch im Ohr.
Und selbst, wenn ich weit im Süden den Olymp erklimme,
habe ich den Eindruck, ich hörte seine Stimme,
und auf dem Gipfel brüll ich schrill:
Lehmann, sei still.

Unsere nächste Begegnung wird für ihn bitter,
dann zieht es auf, dieses reinigende Gewitter.
Ich schnapp ihn am Kragen, da guckt er nicht schlecht,
und ich sag: Lehmann,
…du hast ja recht.


12. 170 Karten
(Musik und Text: Maik Göpel)

Im Schuhkarton vom Dachboden einhundertsiebzig Karten,
die seit 20 Jahren auf ein Wiederfinden warten.
Also hebe ich den Deckel und fange an zu lesen,
20. Juni ’87, der ist sonnig gewesen.
Hochzeitsgrüße aller Art, wenn ich das richtig deute,
liegen da wie eine Botschaft, genau für heute.
So viele hatten an jenem Tag an uns gedacht,
mit denen wir ein gutes Stück des Lebens zugebracht.

Karten liebevoll gebastelt, manche flüchtig hingeschrieben,
alle gut gemeint, ein paar vielleicht übertrieben.
Protzig oder schlicht oder bunte Heiterkeit,
eine kommt mir vor wie die Bekundung von Beileid.
Penibel gereimtes, aufwendig verziert,
eine wurde kurz vor Schluss unsicher korrigiert.
Eine von der Sekretärin getippt auf der Maschine,
vom Direktor unterschrieben, ohne Verziehen einer Mi(e)ne.

Schicksalsschläge, Pech und Glück und Krieg und Frieden.
Damals frisch Verliebte leben jetzt glücklich geschieden.
Manche deiner Leute waren mir damals ziemlich fremd,
manche sind es noch heute, andere wie mein zweites Hemd.
Dass die Freunde in Tom Price so trefflich Worte fanden,
ich bin sicher, so viel Englisch hab ich damals nicht verstanden.
Eine Karte rührt besonders, zittrig Sütterlin geschrieben,
eine alte Liebe meines Opas, der im Krieg geblieben...

Die Wirtin hatte an uns jenen Abend gute Kunden.
Bei Karl hatte ich meine ersten Gitarrenstunden.
Marion lebte all die Zeit allein, kaum zu verstehen,
wie hält sie das nur aus, wir sollten öfter nach ihr sehen.
Der gute Jens hatte nicht verdient sich so zu quälen,
auch wenn ich steinalt werde, er wird immer noch fehlen.
Genau wie manche andre, die schon lange nicht mehr leben
und uns doch heute Abend noch einmal ein Zeichen geben.

Vertraute Namen wecken die Erinnerung in mir,
an Anne Bendfeldt und die schönen Stunden am Klavier.
Ihr verdanke ich so viel! Was für eine Frau,
sie wusste was sie wollte bis zum letzten Tag genau.
Georg, mit dir konnte man Pferde stehlen,
dein Sohn ist ein ganz andrer Kerl, das kann er nicht verhehlen.
Ruth und August haben sich ein Leben lang gestritten,
heute schleicht er oft zum Friedhof, um Verzeihung bitten...

Zu Fritz fallen mir Bilder ein, ich sehe wie vor Jahren
einen plumpen Riesen ein zu kleines Moped fahren.
Frau Reichstein habe ich als Kind ´nen Spiegel zerschmissen,
dann grüßte ich sie sieben Jahre mit schlechtem Gewissen.
Verbindungen zum Teil vergilbt und manche noch taufrisch,
sitzen alle heute Nacht noch mal mit uns am Tisch.
Es tat gut, euch in Gedanken einmal wieder zu sehen,
und nun kann das Leben weiter gehen.


13. Zungenpiercing
(Musik und Text: Maik Göpel)

Ich bin eigentlich zu feige und zu schüchtern,
also erst mal theoretisch und ganz nüchtern,
sollten wir darüber reden, möglichst ungeniert:
In schlaflosen Nächten hab ich fantasiert.
Wenn ich dir jetzt diese Fantasie gestehe,
bringt das vermutlich frischen Wind in unsre Ehe
und du siehst mich bald in einem andren Licht,
ich bin jetzt schon ganz gespannt auf dein Gesicht,
es würde dich verblüffen, jede Wette,
wenn ich ein Zungenpiercing hätte.

Jetzt nur nicht daran denken, wie weh das tut;
Liebling, du wärst sicher stolz auf meinen Mut.
Zwar würden wir wahrscheinlich beim Küssen
in Zukunft vorsichtiger werden müssen,
und fing ich an dich zärtlich zu entblättern,
könnt ich mich leicht mit deinen Ohrringen verheddern.
Dann würde meine Zunge immer länger,
bei dem Gedanken wird mir bang und bänger,
was wäre alles los in unsrem Bette,
wenn ich ein Zungenpiercing hätte?

Ich könnte schön mit meinem Schmuckstück glänzen.
Doch was hätte das für Konsequenzen?
Würde ich im Chor den Dirigenten
beim Weihnachtskonzert Christbaum-mäßig blenden?
Könnte ich damit noch richtig singen,
bringt so ein Ding mein Bierglas zum Zerspringen,
würde ich im Flughafen Alarm auslösen,
zählte ich dann zur „Achse des Bösen“,
wäre ich für Oma noch der liebe Nette,
wenn ich ein Zungenpiercing hätte?

Verändert so ein Zungenpiercing
erheblich den Metallgehalt im Wirsing?
Wird, was du gekocht hast, anders schmecken,
bleiben Nudeln in der Einstichstelle stecken
und erzeugen die, vermischt mit Müslispuren,
bei Fieber neuartige Pilzkulturen?
Kann man den Verschluss als Zahnstocher benutzen,
und erspart sich so das Zähneputzen,
zerriss es einen Teil meiner Serviette,
wenn ich ein Zungenpiercing hätte?

Wird mir langweilig, dann kann ich damit spielen
und ausprobieren ob junge Mädchen nach mir schielen.
Werd ich mit den Amalgamfüllungen klappern
oder wieder anfangen zu sabbern?
Erhöht es, eines schwülen Sommertags,
beim Gewitter die Gefahr des Blitzeinschlags?
Könnte ich es nachts versehentlich verschlucken,
muss ich dann zwei Tage in die Schüssel gucken
oder hörte man es in der Toilette,
wenn ich ein Zungenpiercing hätte?

Oder geht dir der Gedanke auf die Kette…

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